Die Anzeige Nachdem wir also auf der Polizeiwache einmal alle unserer Sachen identifizieren, dürfen wir zumindest schon mal Gerriets Portemonnaie mitnehmen. Alles andere muss bleiben; Beweismittel. Für uns geht es dann direkt weiter zu einer anderen Polizeidienststelle, um unsere offizielle Aussage zu machen und Anzeige zu erstatten. Als der, nennen wir ihn mal Oberkomissar, und sein Gefolge irritiert feststellen, dass wir ja gar kein Spanisch können und dort natürlich wieder niemand Englisch kann, hilft nur noch ein Anruf bei Nico. Ein Glück für uns, dass wir gemeinsam mit Viola und Nico in Banos sind. Die beiden haben wir am Cotopaxi kennengelernt und beschlossen gemeinsam ein Stück weiter zu reisen. Abgesehen davon, dass wir dabei eine super Zeit zusammen haben, ist diese Tatsache auch unsere Rettung in Baños. Ohne die Unterstützung, in perfektem Spanisch, unseres “Übersetzers” Nico, sässen wir wohl heute noch bei denen im Büro. Glücklicherweise können wir ihn direkt erreichen und er ist in null Komma nix an unserer Seite. Die Aufnahme der Aussage von Gerriet dauert ewig. Nicht nur dass Nico uns beim Übersetzen hilft, sondern er korrigiert parallel auch noch die Fehler der Sekretärin beim Aufschreiben der Aussage. Etwas irritier sind wir, als am Ende der Oberkommisar persönlich die Aussage noch mal „etwas“ anpasst. Wir wundern uns kurz aber man will ja auch nicht kleinlich sein.
Es ist noch immer die Rede davon, dass es sich um eine größere Bande handelt. Ziel unserer Aussage sei es, eine Anzeige zu erstatten damit die zwei Festgenommenen in den Knast wandern. Auch unser Helfer Christian muss nun seine Personalien angeben und eine Aussage machen. Dies möchte er, aus Angst vor dem organisierten Verbrechen, nicht machen. Er vermutet Verbindungen der Polizei zu eben jenen Organisationen. Das sei nicht unüblich. Der Oberkommisar erinnert ihn an seine Pflicht als Bürger und zwingt ihn dazu. Bevor Christian eilig und sichtlich unglücklich das Gebäude verlässt, bedanken uns noch einmal ganz herzlich bei ihm. Uns tut es super leid, dass unser Retter in diese Situation geraten ist. Zunehmend sind wir auch selbst etwas beunruhigt. Wer möchte sich schon in Südamerika mit einer Bande anlegen?! Nach ca. 3 Stunden ist dann endlich alles erledigt und wir bitten nun unsere Sachen ausgehändigt zu bekommen.
Nee, so einfach ist das nicht.
Wir werden für den nächsten Tag zu einer offiziellen Anhörung vor Gericht geladen, wo wir dann einen Antrag stellen müssen, dass wir unseren Rucksack zurück bekommen wollen. Wann genau diese stattfindet wisse man noch nicht. Nico bekommt 2 Nummern - vom Richter und Gerichtsdiener. Die solle er am nächsten Morgen um 8 Uhr per WhatsApp kontaktieren. Ein Polizist der Policia National (das sind die schweren Jungs) kommt parallel zu Sanni und bittet um ihre Handynummer um uns später per WhatsApp Bescheid zu geben. Noch eine Nummer? Aber OK, besser eine Nummer zu viel als zu wenig. Immerhin war er der Einsatzleiter und scheint ein echtes Interesse zu haben, die Bande einzulochen. Warum genau er dann auch eine Kopie von Sanni’s Pass per WhatsApp will, ist eher merkwürdig. Aber wir sind ja ordentliche Touristen und so folgte Sanni natürlich der Aufforderung. Das Stadtgespräch Als wir dann endlich das Büro verlassen, machen wir uns gemeinsam zum Hostel von Viola und Nico auf. Erstere wartet ja schon Stunden ohne zu wissen, was Sache ist. Beim Stop am Supermarkt um erstmal ein Bier auf den Schrecken zu kaufen, kommt plötzlich ein Typ auf uns zu und fragt, ob wir diejenigen sind, die beklaut wurden. Wir zögern zu antworten, fühlen uns unwohl. Da zeigt er uns als nächstes das Video der Überwachungskamera auf seinem Handy! Waas?? Woher kommt das denn? Er will wissen wie es denn ausgegangen ist, ob wir unsere Sachen wieder haben und was mit den Dieben ist. Wir “verweigern” die Aussage. Daraufhin geht er in den Supermarkt und spielt dort allen das Video vor. Da wird uns klar: Wir sind schon bekannt wie ein bunter Hund hier. Wir also nix wie zum Hostel. Unterwegs werden wir ein weiteres Mal angesprochen. Jetzt setzt der Verfolgungswahn ein. Wir berichten Viola die unfassbare Story und fahren später lieber mit dem Taxi in unser Hostel anstatt zu laufen. Und dann das dritte Mal: Holá, Holá! Seid ihr nicht die zwei aus diesem Video? Wieder flimmern wir übers Handy. Das ist zu viel für Sanni - sie ist kurz vor Schimpf-Tourette und hat den bösen Blick aufgesetzt. Der junge Mann erklärt, dass es eine WhatsApp Gruppe von Leuten gibt, die im Tourismus arbeiten. Dort teile man das Video den ganzen Tag schon fleißig. Das soll helfen die Diebe zu identifizieren und den Ort insgesamt sicherer zu machen. Naja ok, klingt irgendwie nett. Oder doch alles Mafia?! Zwischenzeitlich zeigt auch der Hostelbesitzer von Nico und Viola den beiden das Video.
Er hat es von Tic Toc! Könnt ihr noch folgen?! Wir brauchen erstmal ein Bier. Doch die Pause dauert nicht lange: ein umfangreicher WhatsApp Chat mit dem Polizisten startet. Wir müssen zu jedem Gegenstand aus unserem Rucksack, die uns einzeln per Foto gesendet werden, den Kaufpreis nennen. Regelbefolger machen das natürlich. Wir völlig fertig während unser Polizist lustige Emojis sendet. Endlich um 21:00 Uhr ist Ruhe. Eine Gerichtstermin für den nächsten Tag haben wir noch nicht.
Im Park Der nächste Morgen; es ist Samstag und Nico versucht seit 8:00 Uhr im Wechsel die beiden Nummern vom Gericht zu kontaktieren. Keine Antwort. Hatten wir schon gesagt, dass wir unsere Sachen erst in 4-6 Wochen bekommen, wenn wir nicht zu der Verhandlung erscheinen? Dann die Nachricht vom „SuperPolizist“. Die Verhandlung ist um 11:00 Uhr und er will sich dringend vorher noch mit uns treffen. Es geht um das Video und es ist wichtig, dass unser Dolmetscher dabei ist. Ja, sí klaro. Sanni fragt, wann wir auf der Polizeiwache sein sollen. Nein - wir treffen uns am besten bei euch im Hostel, lautet die Antwort. Wo wohnt ihr? Alarmglocken an! Nein, ganz bestimmt sagen wir das nicht. Damit uns dann das Kartell abholt und persönlich zum Gericht fährt oder was? Wir fordern ein Treffen am zentrale Busterminal - da sind genug Leute, die nicht alle schlecht sind. Mit 20 Minuten Verspätung taucht dann der Polizist vom Vortag inklusive eines weiteren Mannes auf - beide in Zivil. Wir werden kumpelmässig mit “Corona-Faust” begrüßt und werden gebeten, ihnen zu einem ruhigeren Ort am Fluss zu folgen um „alles“ in Ruhe besprechen zu können. So hatten wir uns das nicht vorgestellt, aber nun gut. Wir folgen ihnen über die Strasse in den Park. Gerriet ahnte schon, dass das Video nur ein Vorwand sei und hat vorsorglich 2 Rationen Bargeld eingesteckt. 40 Dollar in der Jackentasche und falls es nicht ausreicht weitere 100 in der Socke. Sie erklären uns, dass sie uns helfen möchten indem sie uns dringend zu einem Vergleich vor Gericht raten. Sie betonten, dass es ohne einen Vergleich alles sehr sehr kompliziert für uns wird. Der Prozess würde sich über Wochen hinziehen, wir müssten wieder vor Gericht erscheinen und würden unsere Sachen auch erst am Ende des Prozesses zurückbekommen. Und die Diebe sind damit auf freiem Fuß? NEIN, das hat damit nichts zu tun. Die können trotzdem eingebuchtet werden. Och, das ist ja ne gute Lösung. Na dann Danke für den Tip. Zwischenzeitlich gesellte sich eine dritte unbekannte Person dazu. Unsere Nachfrage um wen es sich handle wurde nur kurz mit „auch ein Kollege“ beantwortet. Der Bitte über dieses Treffen Stillschweigen zu bewahren und vor Gericht zu bestätigen, dass wir diese Entscheidung völlig unbeeinflusst getroffen haben, kommen wir bei so viel Hilfsbereitschaft doch gerne nach!
Im Gericht Per Taxi fahren wir mit Viola und Nico zum Gericht. Wo kurze Zeit später auch die drei, uns ja nun schon bekannten, Herren in Zivil vorfahren. In Begleitung einer jungen Frau die uns unbekannt ist. Kurz überlegen wir noch ob wir sie aus dem Büro der Staatsanwaltschaft kennen. Sie betritt mit uns das Gebäude, wartet aber vor dem Gerichtsaal. Nach uns treffen auch die Diebe und eine Staatsanwältin ein. Die Richterin und der Strafverteidiger sind nicht persönlich anwesend, sondern nehmen per Zoom teil. Nacheinander verlesen dann sowohl der Polizist als auch die Staatsanwältin im Detail die Anklagepunkte beziehungsweise die Aussagen. Nico muss alles genauestens übersetzen damit Gerriet bestätigen kann, alles zu verstehen. Die Staatsanwältin, eine kleine Frau in einem extravaganten Outfit und einem skurrilen Gesichtsvisir, wirkt auf uns wie ein kleiner Wadenbeisser. Sie macht den Eindruck, als sei sie sehr daran interessiert die Diebe hinter Gittern zu bringen. Sie spricht schnell und bestimmt, schaut die Täter immer wieder direkt an. Gleichzeitig ist sie etwas verpeilt und blättert wie wild in den Akten und Paragraphen. Der Fall wurde eröffnet mit der Erläuterung, dass er etwas besonders sei, weil Ausländer betroffen sind und er schon in Sozialen Medien präsent ist. tic Toc, Tic Toc…..
Die Diebe lassen über ihren Strafverteidiger nun verlauten, selbst Opfer von Verbrechern geworden zu sein. Sie seien von zwei Männern mit Messern bedroht und gezwungen worden, den Rucksack zu stehlen... Ja, natürlich das macht total Sinn und das Fluchtauto gehört bestimmt auch denen. Der Verteidiger führt weiterhin aus, dass es sich um zwei rechtschaffene Männer handele. Sie seien Händler aus Quito, hätten nicht nötig zu stehlen. Einer hat sogar einen Porsche! Ach so, ja dann.
Wir kommen zu dem Punkt an dem die Staatsanwältin eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren fordert. Gleichzeitig werden wir dann auf die offizielle, rechtlich gültige Regelung, des Vergleichs gegen eine Entschädigungszahlung aufgeklärt. Die vorgeschlagene Summe beträgt 300€, wobei wir auch mehr fordern können. Die Beschuldigten sind dann allerdings frei. Da haben die Polizisten sich wohl „vertan“? Oder könnte das vielleicht genau der Trick an der Sache sein?
Während dessen, erläutert der Strafverteidiger in seinem Abschlussplaydoyer, dass doch auch gar nichts schlimmes passiert sei. Der Rucksack, samt Inhalt ist da, es handelt sich nicht um ein Drogendelikt oder gar ein Gewaltverbrechen. Da ist ein Vergleich über 300 Dollar doch eine prima Sache. Wir sind wirklich so wütend und möchten am liebsten aufspringen und „Einspruch euer Ehren“ schreien. Aber im Gegenteil zu den Opfern im Film, entscheiden wir uns für die Variante mit dem Vergleich. Immerhin aber erst nachdem Nico in unserem Namen noch einmal deutlich gesagt hat, dass es uns nicht ums Geld geht sondern um Gerechtigkeit. Da wir aber auf Reisen sind und endlich unsere Sachen wieder haben möchten, stimmen wir zu.
Die verzweifelte Ehefrau, die gemeinsam mit den Polizisten angekommen ist, fällt fast auf die Knie vor Glück, dass ihr rechtschaffener Gatte nicht zu unrecht in den ecuadorianischen Knast muss und statt dessen wieder ungehindert in seinem Porsche rumdüsen kann. Und da hat sie doch glatt abgezählt 300 $ dabei, die sie Gerriet nun aushändigt. Die Diebe müssen noch eine offizielle Entschuldigung aussprechen, was sie in einem kurzen kaum hörbaren „Disculpe“ tun.
Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Zack, Bumm Verhandlung beendet. Die Staatsanwältin klappt die Akten zu. “Tja dann halt nicht”, scheint sie zu denken und kommt fröhlich zu uns herüber. Sie fragt Nico, ob er als Dolmetscher arbeitet. Als sich rausstellt, dass er auch auf Reisen ist, wird sie ganz aufgeregt: “Ach wie interessant. Wie gefällt es Ihnen denn bisher? Und wo geht es als nächstes hin? Oh- Whow in den Amazonas? Wo genau denn da?” Da will sie auch unbedingt mal hin!
“Lass uns doch mal Nummern tauschen! “
Die Diebe immer noch anwesend. Wir fühlen uns definitiv im falschen Film. Im gesamten Gerichtssaal herrscht plötzlich Plauderstimmumg. Die Polizisten haben richtig gute Laune und machen ihre Späße, die Ehefrau weint nicht mehr. Nur wir können uns nicht so recht freuen und warten darauf, dass wir jetzt endlich den vor uns liegenden Rucksack nehmen und gehen können.
Nee, so einfach ist das immer noch nicht.
Wieder auf der Polizeiwache
Den Rucksack bekommen wir nur auf der Polizeiwache ausgehändigt. Dort treffen wir ebenfalls wieder die beiden Diebe, samt mittlerweile zweiter Ehefrauen. Die Damen versorgen die armen Männer ersteinmal mit Snacks, während diese einen kleinen Plausch mit den Polizisten halten. Nico kann ja alles verstehen. Es geht um das genaue Modell des Porsches und die weitere Tagesgestaltung der Freigekommenen. Als nächstes steht erst mal Essen gehen auf dem Programm! In Sanni´s Kopf spielt der Refrain eines bekannten Ärtzesongs in „Dauerschleife “Immer mitten in die Fre…. rein“ !
Aber wir alle verkneifen uns jegliches Kommentar. Letztendlich geht es nur noch darum endlich hier weg zu kommen. Und dann ist es tatsächlich soweit, Gerriet bekommt seinen Rucksack. Er muss noch einmal bestätigen, dass alle Sachen wieder da sind.
Sind sie aber nicht! Ja Leute, tut uns echt leid. Geht noch ein ganz kleines bisschen …
Plötzlich fehlt der Apple Pencil vom iPad der gestern noch da war. Huch, da wurden die eben noch so fröhlichen Polizisten aber ganz kurz sichtlich nervös. Einer verschwindet dann im Hof des Reviers und kehrt irgendwann samt Stift zurück. Der wurde wohl versehentlich dem Applezubehör der „Geschäftsmänner“ zugeordnet. Insgesamt muss man sagen, dass die Polizei nach der Verhandlung auf dem Revier sehr zufrieden und ausgelassen wirken. Eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei Karte“ kostet wahrscheinlich auch in Equador mehr als 300 US Dollar. Man könnte meinen, die haben einen richtig guten Deal gemacht. Aber immerhin haben wir unsere Sachen wieder und können uns von der Entschädigung nen netten Tag machen. Jetzt können wir auch endlich gehen und kehren Banos einen Tag später mit Freude den Rücken. Die Geschichte beschäftigt uns natürlich noch eine Weile. So stellt Sanni einen Tag später fest, dass ihr Handy unbemerkt, und unbeabsichtigt das Treffen mit den 3 Polizisten gefilmt hat! Durch die Bauchtasche ihrer Jacke! Korruptions-Beweise aus erster Hand quasi, da auch alles zu verstehen ist, zumindest wenn ihr spanisch sprecht! Das zweite Geheim-Video ist auf Gerriets Actioncam entstanden, während die Polizisten am Abend die Gegenstände aus dem Rucksack noch einmal auspacken. Am längsten hallt die Story aber bei dem armen Nico nach. Er erhält in den folgenden Wochen regelmäßige WhatsApp Nachrichten von der schrägen Staatsanwältin. Sie ist immer noch auf der Suche nach Tips und hätte so gerne ein paar schöne Fotos. Herzchen Emojis inklusive!
Und nun endet diese Story. Wären wir nicht selber dabei gewesen würden wir sie wohl nicht glauben. Ab jetzt ist der Rucksack nur noch auf dem Schoß!
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