28. November
Tag 2: 20 km, ca. 8 Stunden wandern. Höhe 800 mNN
Die Nacht ist kurz! Wir werden um 5:00 Uhr geweckt, da es um 5:30 Uhr Frühstück gibt und pünktlich um 6:00 Uhr los geht. Als wir unsere Sachen vom Vortag von der Wäscheleine nehmen, bestätigt sich das, was wir befürchtet haben: Hier trocknet mal gar nichts. Also geht es wieder rein in die nassen Socken und die Wanderhose. Das jeweils zweite Paar bleibt als eiserne Reserve, trocken verschlossen, im Rucksack. Aber ein frisches Shirt und Unterbuxen haben wir immerhin für jeden Tag parat. Schon nach ein paar Minuten haben wir uns an diesen doch recht ekligen Zustand gewöhnt und freunden uns schon mal mit dem Gedanken an, dass dies ab sofort normal ist.
“Am zweiten Tag erwartet Sie ein sehr angenehmer und ziemlich langer Spaziergang, da wir das indigene Territorium betreten und eine Stadt der ethnischen Gruppe der Kogui besuchen werden.“
So lautet die offizielle Beschreibung unseres Tourenanbieters. Da dieser Spaziergang dann aber doch sehr anspruchsvoll ist, wird er glücklicherweise in zwei Etappen unterteilt. Der erste Teil führt uns zum zweiten Camp des Trails, Campamento Mumake. Hier werden wir eine Mittagspause machen und an Tag 3 auf dem Rückweg übernachten. Insgesamt laufen wir etwas mehr als 4 Stunden dorthin, einschließlich kurzer Pausen auf denen wir mit Früchten versorgt werden. Der Weg führt uns mitten durch den wunderschönen tropischen Regenwald entlang des Buritaca-Flusses. Die Temperatur beträgt 30 Grad. Bevor wir den ersten Zwischenstopp, das Dorf der Kogui, erreichen steht uns einer der heftigsten Abschnitte dieses Tages bevor. Es geht eine volle Stunde ausschliesslich und wirklich heftig steil bergauf. Hier kreuzen die ersten Rückwanderer unseren Weg. Ihr Mitleid mit uns ist sichtbar. Sie versuchen uns mit durchhalte Rufen aufzumuntern und feuern uns an! Einzig die Tatsache, dass sie ja noch gestern in der selben Lage waren, lässt sie uns nicht völlig verfluchen. Und so zwingen wir uns natürlich bei allen Begegnungen ein Lächeln auf unsere klitschnassen und knallroten Gesichter. Wahrlich ein Spaziergang.
Angekommen bei den Kogui erhalten wir von einem Mann der Gemeinschaft einen interessanten Einblick über die Kulturen und Traditionen des Stammes.
Die Kogui sind die Nachfahren der Tayrona, einer uralten südamerikanischen Kultur, über die wenig bekannt ist. Niemand weiß, woher das im Norden Kolumbiens an der Karibikküste lebende Volk der Tairona kam. Rund 18.000 Kogui leben heute in Kolumbien. Ein Großteil hat es bis heute geschafft, sich dem Einfluss unserer Zivilisation zu entziehen. Die Kinder und Erwachsenen, die wir unterwegs am Wegesrand oder reitend auf ihren Mulis treffen, sind schüchtern und meiden den Blickkontakt zu uns. Es macht den Eindruck, als möchten sie schnell an uns vorbei oder von uns weg. Auch während des Vortrags sind nur wenige andere Mitglieder der Dorfgemeinschaft anwesend. Niemand der uns neugierig bestaunt oder uns fröhlich winkend umringt. Je länger wir darüber nachdenken desto besser finden wir es. Die Kogui sehen sich als die Hüter der Erde. In Ritualen und Gebeten kümmern sie sich um das Gleichgewicht von Geben und Nehmen. An bestimmten heiligen Plätzen begehen sie dazu Rituale und bieten der geistigen Welt spirituelle, in der Regel nicht materielle Opfer dar. Heilige Plätze sind z.B. die Gipfel der Berge, die Quellen der Flüsse sowie viele kleine natürliche Besonderheiten wie Felsen und gewisse Punkte in der Natur. Wir Weißen, sind in den Augen der Kogui wie kleine Kinder, die nicht gerne hören, viel Unfug treiben und in den Tag hinein leben, als gäbe es kein Morgen. Hmmmm.. können wir aktuell für uns nicht ganz abstreiten. Nur das mit dem Unfug stimmt nicht.
Apropos Unfug. Koka ist allen Kogui heilig. Die Männer tragen einen ausgehöhlten Flaschenkürbis um den Hals, den Totuma. Diesen erhalten sie zu ihrem 18 Geburtstag von ihrem Stammesführer. Er hat eine einzigartige Musterung, weshalb er bei Ihnen auch als eine Art Personalausweis dient. Mit ihrem “Personalausweis” führen sie dann das sogenannte Poporo-Ritual durch. Für sie so selbstverständlich wie hierzulande einen Kaffee zu trinken. Dabei werden die frischen Kokablätter mit einem weißen Pulver aus dem Kürbis vermischt und in die Wange gestopft. Bei dem Pulver handelt es sich um zermahlene Muscheln. Denn Koka stimuliert nur in Verbindung mit einer alkalischen Substanz wie Muschelkalk. Immer wieder hört man, dass auch Touristen dieses Ritual ausprobieren. Nein Danke, lieber nicht. Ein Kaffee tut’s auch.
Der Rest unseres Weges ist ein munteres Auf und Ab und führt uns immer wieder durch tiefen, zähen Matsch. Glücklicherweise ist es bisher den ganzen Tag trocken und sonnig, so dass wir dennoch passabel voran kommen. Wir mögen uns gar nicht vorstellen, wie dieser Weg bei Regen aussieht. Gegen Mittag kommen wir dann im Camp an und haben wieder die Möglichkeit im herrlichen kalten Fluss zu baden. Bei der Ankunft fällt uns das erste Mal auf, das unser Koch David schon da ist und bereits fleissig in der Küche unser Mittagessen vorbereitet. Wie ist er denn so schnell hierher gekommen? Sicher mit dem Muli? Oder vielleicht mit dem Moped?
Das Essen ist jedenfalls wieder super!
Frisch gestärkt und in von der Sonne fast vollständig getrocknete Klamotten, machen wir uns auf zum zweiten Teil der Wanderung. Unser Ziel Camp Nr. 3: Paraiso. Auch diese Etappe dauert gute 4 1/2 Stunden und verlangt uns wieder einiges ab. Wir überqueren zahlreiche Flussausläufer und klettern über dicke Felssteine. Immer bemüht trockenen Fußes ans andere Ufer zu gelangen. Der Boden weist unterschiedliche Beschaffenheit auf und wir müssen uns immer wieder zur Konzentration ermahnen, damit es keine Stürze oder sonstige Verletzungen gibt. Dass wir am Ziel angekommen wieder völlig durchnässt sind, versteht sich ab hier bitte von selbst. Wieder sind wir die ersten im Camp und reservieren uns, ganz deutscher Tourist, mit unserem Handtuch direkt das schönste Stockbett am Platz, nämlich das in unmittelbarer Nähe zum rauschenden Fluss.
Nach dem Abendessen, um 18:00 Uhr, bei dem wir schon kaum noch unsere Augen aufhalten können, bittet uns Jhon noch ein bisschen durchzuhalten. Er möchte uns die Fakten und Details zur historischen Städte schon heute Abend geben, damit wir uns am nächsten Tag diese Zeit am Eingang der Lost City sparen und so den anderen Gruppen beim Aufstieg hoffentlich einen Schritt voraus sind. Sieht schon mal gut aus, denn außer uns „lernt“ niemand mehr. So müde wir auch sind, die Informationen von Jhon sind super. Er verfügt über echtes Insider wissen, da er quasi in der Stadt aufgewachsen ist. Sein Vater war jahrelang an der vollständigen Rekonstruktion der Stätte beteiligt.
Laut Annahmen wurde die Stadt um 800 n. Chr. gegründet, sogar 650 Jahre früher als Machu Picchu. Sie war einst das Herzstück mehrerer kleiner Dörfer, die vom Volk der Tayrona bewohnt wurden. Die geschätzte Bevölkerungsgröße betrug zu Hochzeiten 2.000 – 8.000 Menschen. Diese verließen die Teyuna, wie der ursprüngliche Name der Stadt lautet, jedoch kurz nach der Ankunft der Spanier in Kolumbien und flohen weiter in die Berge. Die Spanier selbst haben trotz des Handels mit den Tayrona die Stadt nie betreten. Erst 1972 wurde die Verlorene Stadt durch Grabräuber wiederentdeckt und geplündert. Darüber wie der einheimische Guaquero (bedeutet „Grabräuber“) Florentino Sepúlveda und seine beiden Söhne Julio César und Jacobo die Stadt gefunden haben, gibt es verschiedene Varianten. Klar ist jedoch: In der verlassenen Stadt gab es einige Schätze zu finden, und Sepúlveda verschwendete keine Zeit damit, die Stätte zu plündern. Bald verbreiteten sich diese Neuigkeiten und zogen zahlreiche andere Plünderer an, die einen Anteil am Reichtum haben wollten. In der Folge kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um die Kontrolle des Gebiets. 1976 griff die kolumbianische Regierung endlich ein. Truppen und Archäologen wurden entsandt, um diese wichtige Stätte zu schützen. 6 Jahre später konnten die Archäologen die Rekonstruktion vollenden und Teyuna wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Obwohl die Guaqueros rücksichtslos plünderten, schafften sie es nicht der Ciudad Perdida alles wegzunehmen. Archäologische Arbeiten haben verschiedene Artefakte hervorgebracht, die heute in Santa Marta und im Museo Del Oro in der Landeshauptstadt Bogotá ausgestellt sind. Bis heute werden 3 weitere Städte und zahlreiche unentdeckte Schätze im Umland Teyuans vermutet. Jegliche Ausgrabungen wurden aber komplett verboten. Und das ist wohl auch besser so.
Vollgepackt mit unserem neuem Wissen sinken wir um 20:00 in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Fortsetzung folgt…
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